Einführung in die Noomachie (Sechste Einheit) – Die europäische Zivilisation

Das Thema der sechsten Vorlesung ist die europäische Zivilisation. Wir schieben nun die anderen indoeuropäischen Gesellschaften zur Seite und konzentrieren uns auf die europäische Geschichte, ihre Kulturen und Völker. Es ist jetzt klar, dass die europäische Zivilisation auf der Überlagerung zweier Existenzhorizonte aufbaut und ein Zentrum besitzt. Ihr wesentliches Problem liegt in der Figur des Dionysos und ihrer Interpretation. Die europäische Geschichte ist also eine Titanomachie/Noomachie und die Ursache dieser Titanomachie liegt in der Ankunft der turanisch-indoeuropäischen Kulturen mit der Kurgankultur auf dem Feld der Großen Mutter, der Zivilisation der Kybele. Als wir in der letzten Vorlesung über Dionysos sprachen, identifizierten wir ihn als das wesentliche Problem dieser Zivilisation und als das Schlachtfeld, auf dem sich diese Titanomachie abspielt.

Ich habe bereits das Beispiel der Thraker erwähnt. Das thrakische Volk war ein Volk turanischen Typs und zuallererst ein indoeuropäisches Volk, das den Balkan vor den Slawen erreichte (vielleicht 1200 Jahre vor Christus, der genaue Zeitpunkt ist schwer zu ermitteln). Wichtig ist hierbei, dass eine Art Reich der thrakischen Stämme existierte. Viele dieser Stämme lebten auf dem nördlichen Balkan, aber sie besetzten auch einen großen Teil Osteuropas. Die thrakische Zivilisation bildete sich genau in dem Raum und expandierte von jenem Feld aus, auf dem sich die Pole und Zentren der Zivilisation der Großen Mutter befanden. Dies betraf Lepenski Vir, die Vinčakultur , die Gumelnițakultur, die Cucuteni–Tripolje-Kultur, Criș, Tisza und alle anderen Kulturen unter dem Existenzhorizont der Thraker. Wir wissen nicht und wir können nicht wissen, ob die Thraker die ersten Indoeuropäer waren, die diese Territorien erreichten, aber wir kennen auch keine älteren indoeuropäischen Gruppen in diesem Gebiet. Vielleicht gab es möglicherweise weitere Wellen turanischer Völker, die hier ankamen, vielleicht auch nicht, wir können es nicht sagen. Die thrakische Kultur stellte jedoch genau das Feld oder die besondere europäische Kultur dar, innerhalb derer ein Treffen zwischen dem Horizont des Apolls, seinem logos und dem logos der Kybele ermöglicht wurde. Es handelt sich also hierbei um eine Kultur des Zusammentreffens. Die slawischen Stämme erreichten wesentlich später den Balkan und assimilierten diese thrakischen Elemente, um sie in ihrer Struktur mit einzuschließen. Ein weiterer wichtiger Aspekt liegt darin, dass Dionysos von den Griechen als thrakischer Gott betrachtet wurde. Wir wissen nicht, ob er wirklich thrakisch oder präthrakisch war, beziehungsweise von einem indoeuropäischen Volk stammte, welches den Thrakern vorausging. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass Dionysos aus dem Norden Griechenlands, also aus Thrakien kam, ebenso wie Orpheus. Dies gilt auch für Bendis, die eine sehr populäre thrakische Gottheit in Griechenland war. Das Fest welches von Platon im „Staat“ erwähnt wurde, war der Bendideia gewidmet. Eine andere Gottheit mit thrakischen Wurzeln war Kotys. Orgiastische Feste welche ihr gewidmet waren wurden „Cottytia“ genannt. Die Phryger standen ebenfalls den Thrakern nahe und es war die phrygische Zivilisation, deren Volk den Kybelekult entwickelte. Auch das hat etwas mit der thrakischen Welt zu tun.

Es ist möglich, dass die thrakischen Stämme älter waren, als wir annehmen, vielleicht waren sie die ersten, vielleicht auch nicht, wir können dies nicht mit Sicherheit sagen. Es gilt jedoch als gesichert, dass sie eine indoeuropäische Gesellschaft mit einer sehr entwickelten nomadischen Ausprägung waren und je weiter nördlich wir gehen, Richtung Siebenbürgen/Transylvanien nach Rumänien, finden wir bereits die Steppen Eurasiens vor, den turanischen Raum. Als gesichert gilt jedoch, dass die Thraker um das Donaubecken herum und auf dem Balkan lange vor den Skythen und Sarmaten siedelten. Es handelt sich bei ihnen also um die Vertreter einer sehr alten indoeuropäischen Kultur, die die paläoeuropäische Tradition entweder direkt oder durch einen Mittler assimilierte sowie inkludierte. Dies ist wichtig, weil es den slawischen Horizont Osteuropas betrifft, der Osteuropa als Zivilisation ab dem fünften und sechsten Jahrhundert dominierte, in welchem die Slawen nach Osteuropa einfielen. Davor herrschten dort die Thraker, die selbst Indoeuropäer waren. Demnach fand das Aufeinandertreffen des logos des Apoll und des logos der Kybele wahrscheinlich genau in Thrakien statt. Ebenfalls wichtig ist, dass sich die europäische Bauernschaft von der selben Region aus ausbreitete. Der Balkanraum war also nicht nur die Urheimat der osteuropäischen Bauern, sondern aller europäischen Bauern, da die landwirtschaftliche Tradition schon viel früher als im Rest Europas genau auf den fruchtbaren Böden des Balkans entwickelt wurde, wo die matriarchale Gesellschaft lange vor der Ankunft der turanischen Kultur existierte.

Osteuropa, dem sonst nur die Rolle als Peripherie, Grenze oder etwas nebensächlichen im Vergleich zu Griechenland oder Westeuropa zugestanden wird, hatte also vielleicht einmal eine zentrale Bedeutung. Es ist also notwendig, dass wir diesen osteuropäischen Raum stärker als Existenzraum ins Auge nehmen und ihm sowie dem osteuropäischen Dasein mehr Aufmerksamkeit schenken. Er ist sehr komplex und besteht aus vielen Stämmen, vielen Völkern, mehreren Kulturebenen, doch darüber hinaus sind die thrakischen Wurzeln von Dionysos und Orpheus sehr bedeutend. In dieser Perspektive habe ich die zentrale Rolle des Dionysos als Schlüssel zur geschichtlichen Sequenz der europäischen Geschichte erklärt, zur Ontologie der europäischen Geschichte. In ihr nimmt Osteuropa eine neue Dimension von großer Wichtigkeit ein. Es war in der Realität nicht die Peripherie der anderen griechischen, römischen und später westeuropäischen Zivilisation. Osteuropa besaß also eine polare Bedeutung, der Balkan war eine Art Zentrum und Pol. Jedoch müssen wir die Qualität und die noologische Natur dieses Pols intensiver studieren. Es geht also nicht nur darum stolz darauf zu sein, zu den Balkanslawen zu gehören die hier nach den Thrakern einwanderten, sondern auch darum die Wichtigkeit der Struktur und der Ebenen der Noologie dieses Raumes zu verstehen. Weil das Problem des Dionysos zentral und äußerst wichtig ist, wie ich bereits zu erklären versucht habe, wächst damit die Bedeutung Osteuropas. Wir können daraus eine wichtige Sache ableiten, nämlich dass wir Osteuropa (Thraker, Slawen, den Balkanraum) als eine Art Fortsetzung oder Peripherie Westeuropas und Eurasiens, Russlands und des turanischen Raumes ansehen. Aber dann finden wir dieses absolut neue dionysische Osteuropa vor, wo dieses Treffen als Schlüsselereignis in der ontologischen und semantischen Geschichte Westeuropas stattfand. Osteuropa war also nicht die Peripherie, sondern auf eine sehr besondere Art und Weise das Zentrum. Als solches gesehen müssen wir uns auf das Mutterland des Dionysos konzentrieren, eben weil es sein Ursprung ist. Weiters müssen wir den Faktor der thrakischen Sprache, der thrakischen Kultur und des einzigen bekannten rein thrakischen Gottes berücksichtigen und dieser Figur mehr Aufmerksamkeit widmen. Es gibt viele Parallelen und gemeinsame Aspekte zwischen Zalmoxis und Dionysos. Mircea Eliade und die rumänische Tradition schenkten der Figur des Zalmoxis und seiner Rolle in der thrakischen Tradition große Aufmerksamkeit. Sowohl in der thrakischen Kultur, als auch in der matriarchalen Kultur vor den Thrakern verschwand die osteuropäische Zivilisation der Großen Mutter nicht. Vielmehr trat sie in die bäuerliche Tradition Osteuropas ein und breitete sich mit ihr über ganz Europa aus. Überall wo wir heute Bauern in Europa vorfinden, handelt es sich um Erben und Nachfolger des balkanischen Mutterlands.

Also können wir über das Dasein der Bauern sprechen, eine besondere Art der Dritten Funktion, welche kulturelle Linien der prä-indoeuropäischen Tradition bewahrte. Eine der ersten prä-indoeuropäischen Gesellschaften, die diese Elemente integrierte, waren die Thraker. Und danach kamen alle anderen. Vielleicht sollten wir auch den Illyrern besondere Aufmerksamkeit angedeihen lassen, weil sie auf der westlichen Balkanhalbinsel mit den Thrakern zusammenlebten. Und folgt man einigen Historikern, reichte der Raum der Illyrer bis zum Baltischen Meer. Vielleicht lebten auch die Illyrer viel weiter nördlich, bevor die Slawen kamen. Wenn wir heute auch zu wenig über diese zwei Völker wissen, können wir dennoch einige Dinge ableiten, was die korrekte Interpretation der südslawischen Tradition angeht, weil es eine kulturelle Kontinuität gibt. Alle Bauern die wir kennen, waren nämlich ursprünglich balkanisch und durchliefen einen vielleicht jahrtausendelangen Prozess der Indoeuropäisierung. Die Bauernschaft und das bäuerliche Dasein sowie die bäuerliche Tradition sind ihren Wurzeln nach, in ihrer Tiefe, balkanisch. Das ist ausgesprochen wichtig zu berücksichtigen.

Nun können wir den europäischen Raum betrachten und einige Worte über die verschiedenen Schichten des großeuropäischen Raumes verlieren. Wie wir bereits erwähnt haben, existiert ein riesiger indoeuropäisch-turanischer Raum, der von den Britischen Inseln bis Indien reicht. Dies ist der große, indoeuropäische Existenzhorizont. Der europäische Existenzhorizont umfasst den westlichen Teil davon, der nicht nur Europa, sondern auch Osteuropa umschließt. Aber wir können auch den Umfang der Noologie und der Geosophie ändern und versuchen, eine kleinere Ebene zu betrachten. Wir wissen nun wonach wir suchen. Wir suchen nach jeder Gesellschaft, die das Problem des Dionysos gerade löst oder bereits gelöst hat. Damit wird unsere Suche viel konkreter. Indem wir die eine oder die andere europäische Kultur zu verstehen, dechiffrieren oder interpretieren versuchen, suchen wir nach dem noologischen Gleichgewicht und dem Moment der Noomachie in jeder Gesellschaft.

Die griechische Tradition zum Beispiel gründet auf dem absoluten Sieg des logos des Apolls. Jedoch erfolgte dieser Sieg, den ich gestern erwähnte, nicht unmittelbar. Die hellenischen Stämme (Äolier und Ionier) kamen auf dem Balkan und dem Peloponnes in Wellen an und begannen die bestehende matriarchalische Tradition zu kontrollieren und zu überwältigen. Zur selben Zeit fand ein Austausch von Elementen statt. Einige griechische Gebiete konservierten die vertikale, trifunktionale rein patriarchalische Struktur und einige verloren sie zur Gänze oder zumindest einige ihrer Elemente. Die minoische und mykenische Kultur entstanden aus dieser Mischung zwischen patriarchalischen und matriarchalischen Elementen. Erst die vierte Welle der hellenischen Einwanderung aus dem Norden, genauer gesagt aus Mazedonien kommend, die sogenannte dorische Welle, brachte die entscheidenden Einflüsse des Apollinismus und der Viehzucht mit sich, zerstörte die mykenische Kultur und führte den rein turanischen Stil ein. Dies wurde in Sparta widergespiegelt, da dieses dorischer, als das ionische Athen war. Genau darin lag der Dualismus in der griechischen Kultur begründet: Athen war ionisch und Sparta dorisch. Dies betraf auch das Gleichgewicht in der Noomachie, da in Sparta der logos des Apoll klarer und machtvoller zu Tage trat. In Äolien und Ionien, Athen und den griechischen Kolonien in Anatolien war die Macht des vertikalen logos des Apoll hingegen geringer. Es ist von großer Bedeutung, dass es auch in Griechenland gewisse Unterschiede innerhalb des Existenzhorizonts gab. Und genau dieser Dualismus zwischen Sparta und Athen ist der Schlüsseldualismus in der Geopolitik, der ebenfalls über eine noologische und geosophische Interpretation wie Erklärung verfügt.

Dionyos war ein griechischer Gott mit thrakischen Wurzeln, der insofern rein griechisch war, als das ihn Umgebende die apollinische Perspektive dominierte und er sich in einem sehr alten kybelischen Raum befand. In der griechischen Kultur, in der polytheistischen Religion und im Kult können wir dieses Element sehr deutlich erkennen. Ich möchte nur wie bereits schon erwähnt hinzufügen, dass es sich dabei um den logos handelt. Die drei logoi spiegeln sich in der Religion, dem Mythos aber auch in der Philosophie wieder. Der logos des Apoll wird perfekt in der platonischen Philosophie widergespiegelt. Die platonische Philosophie stellt die absolute Fassung des apollinischen logos dar, ebenso wie die Logik des Aristoteles, der zu den Schülern Platons gehörte. In Teilen der Lehre des Aristoteles können wir auch den logos des Apoll in seiner reinsten und formalisierten Fassung erkennen. Den logos des Dionysos finden wir in der Dialektik des Heraklit wieder. Wir haben ihn das dramatisch Nokturne genannt. Heraklits Philosophie gründet auf dem Kreis, den Krieg, auf der Dialektik zwischen der Ewigkeit und der Zeit, sie ist aber nicht materialistisch. Heraklit gehört zum dionysischen Aspekt. Auch ein Teil der Lehren des Aristoteles über die Physik und die Rhetorik gehören ebenfalls zum dionysischen logos, weil sie sich mit dem Paradox des Zwei-in-einem befassen, bei welchem Form und Materie in einem Ding enthalten sind. Das Ding ist doppelt und es ist eines. Das ist nicht apollinisch, apollinisch ist „ein Ding ist ein Ding. Das ist das und nicht das Andere.“ Wenn es etwas im Sinne von „das ist das und etwas anderes“ ist, dann bewegen wir uns bereits Richtung Dionysos. Es wäre also ein großer Fehler, die Physik des Aristoteles mit der Logik des Aristoteles gleichzusetzen. In Aristoteles gibt es also zwei Sichtweisen. Erstens finden wir bei ihm die Logik vor, welche seine apollinische Seite darstellt. Zweitens finden wir bei ihm die Physik vor, welche die dionysische Seite des Aristoteles darstellt. Interessanterweise beschäftigen wir uns oft mit einer irrigen Vorstellung des Aristotelismus, wenn wir versuchen die Logik auf die Physik anzuwenden. Wir arbeiten mit einem physischen mathematischen Objekt. Es gibt ein solches Objekt nicht in der Realität. Es gibt also ein mathematisches Objekt, das rein apollinisch ist und es gibt ein physikalisches Objekt, das rein dionysisch ist.

Daraus folgt eine sehr wichtige Anmerkung. Um die physische Welt studieren zu können, müssen wir nicht die Logik, sondern die Rhetorik auf sie anwenden. Die Rhetorik ist eine strengere und präzisere Wissenschaft als die Physik. Hier müssen wir Heraklits Konzept der Dialektik und Rhetorik anwenden. Dabei stellt die Rhetorik eine Art Verletzung der Gesetze der Logik dar. Durch sie sagen wir Dinge, die nicht exakt dem entsprechen, was wir aussprechen. Das ist die Ironie. Die Ironie ist die Hauptfigur der Rhetorik. Ironisch ist etwas, wenn wir eine Sache sagen und eine andere Sache meinen. Für Slawen ist das ganz klar, da unsere Sprache rhetorisch und ironisch ist. Wir leben in einer ironischen Kultur, da wir niemals sagen, was wir meinen. Wir sagen eine Sache und meinen eine Andere, sprechen etwas Drittes und das Resultat ist etwas Viertes. Das ist die klassische rhetorisch-ironische Gesellschaft. Wir sind ein ironisches Völkchen. Unsere gesamte Sprache basiert auf Ironie. Doch ist die Ironie auch die wesentliche Figur der Rhetorik und sie stellt ebenfalls eine Verletzung der Gesetze der Logik dar. Nehmen wir als Beispiel die Metonymie, sie ist die Figur durch die wir sagen, wie viele „Viehköpfe“ wir haben, aber wir meinen damit Kühe oder Schafe und nicht nur ihre „Köpfe“. Wir verwenden rhetorisch einen Teil für das Ganze. Dies stellt aber eine Verletzung der Logik dar, denn wir zählen Köpfe, doch alle rhetorischen Figuren sind so. Wir sagen eine Sache und meinen eine andere. Synekdoche und Antiphrase sowie alle anderen rhetorischen Figuren bilden die physikalische Realität genau ab. Rein logisch können wir eine solche Präzision nicht erreichen, schlicht und ergreifend, weil das physikalische Objekt nicht zum intellektuellen oder mathematischen Objekt gehören kann. Mit der Logik können wir mathematische und geometrische Objekte studieren, aber wir sollten die physischen Objekte mit anderen, nämlich rhetorischen Methoden studieren. Und nur die rhetorische Methode kann streng und präzise genug sein, um die dialektische Struktur des Objekts abzudecken. Das Ding ist rhetorisch und nicht logisch, das ist sehr wichtig anzumerken.

Ich empfehle die frühen Texte Heideggers über Aristoteles, aber auch die aristotelischen Studien des frühen Husserls und Bretanos zu lesen, weil die phänomenologische Tradition in der Philosophie den aristotelischen Aspekt betont, den die vorhergehende Tradition ignorierte. Die Phänomenologen haben Aristoteles wiederentdeckt. Auch im griechischen Existenzraum existierte der dritte logos, der logos der Kybele, und wurde philosophisch nicht nur im Mysterium der Großen Mutter repräsentiert. Diese philosophische Tendenz des antiken Griechenlands wurde von Demokrit und Epikur repräsentiert, in Rom wurde sie von Lukrez vertreten. Diese drei Autoren waren typische Vertreter der antiken materialistischen und immanenten Tradition, weil es für sie keine patriarchalen Prinzipien gab und alles aus Atomen bestand. Sie bekannten sich (insbesondere Epikur und Lukrez) zum Konzept des Fortschritts, welches besagt, dass sich alles in eine positive Richtung entwickelt und zwar vom Geringeren zum Besseren, vom Bösen zum Guten hin. Dies war das Konzept, dass alles von unten nach oben wächst. Das Konzept des Fortschritts und der Evolution ist rein titanisch. Es war eine materialistisch-titanische Fassung des Kosmos. Die drei logoi waren in der griechischen Philosophie präsent, doch wichtig ist hierbei, dass der logos des Apoll (Platon und teilweise Aristoteles) und Heraklit (der dunkle logos wurde auch akzeptiert) als normbildend angesehen wurden. Demokrit und zu einem geringeren Grad Epikur wurden abgelehnt. Platon hatte vorgeschlagen, das Buch des Demokrit zu verbrennen, weil es eine sehr gefährliche Häresie darstelle und denn auch eine  Philosophie kann Gotteslästerung sein. Heute erkennen wir darin klar die Fortsetzung der indoeuropäischen Titanomachie oder Noomachie und den Moment der griechischen Kultur in der Noomachie, welcher auf dem Sieg des logos des Apoll in Freundschaft und Waffenbruderschaft mit dem apollinischen logos des Dionysos über den materialistischen logos der Kybele aufbaut. Das ist eine Erklärung der griechischen Tradition in aller Kürze. Dieser innere Dualismus wurde durch den Dualismus zwischen Sparta und Athen nach außen hin vertreten.

Wichtig ist hierbei die hellenistische Epoche. Viele Dinge wurden in dieser Epoche nach Alexander dem Großen verändert. Unter Alexander dem Großen hatte Griechenland seine Herrschaft um einen ganz neuen Existenzhorizont erweitert. Dies war der iranische Existenzhorizont. Dieser wurde nun in die mediterrane und griechische Kultur eingeführt. Und daraus enstand das Phänomen des Hellenismus. Hellenisch ist eine Sache und der Hellenismus ist eine andere. Wo liegt der Unterschied zwischen zwei Kulturen und Existenzhorizonten? Hellenisch ist der griechische Existenzraum wie wir ihn beschrieben haben. Hellenistisch hingegen ist der griechische Existenzraum plus weder der orientalische, östliche, asiatische oder semitische Existenzraum, wie es für gewöhnlich behauptet wird, sondern genau den iranischen Existenzraum. Er ist also nichts Vages oder irgendwie orientalistisches. Der Hellenismus wird als die griechische Kultur plus irgendetwas Orientalisches angesehen. Wenn wir aber das Phänomen der hellenistischen Zivilisation genau analysieren, entdecken wir eine sehr wichtige Sache, nämlich dass der Hellenismus strikt Griechenland plus Iran bedeutet und nicht Griechenland plus Ägypten, Semiten, Osten und Indien im allgemeinen Sinn. Es war der Iran, weil die iranische Zivilisation nicht nur aus der Kultur des Irans bestand. Sie war die Kultur des Achämenidenreiches, die neben ihr auch die ägyptisch-semitische Tradition miteinschloss und all diese antiken Kulturen in den iranischen logos transformierte. Er war der gemeinsame Nenner in dieser achämenidischen kulturellen Tradition und diesem Existenzhorizont. All das habe ich in meinem Buch „Der logos des Irans“ über den iranischen logos erklärt. Der Iran hat alle vorhergehenden Kulturen inkludiert und im Kontext seines eigenen zoroastrisch-mazdaischen Konzepts transformiert. Wir beschäftigen uns also mit Ägypten, mit der semitischen Welt und mit Babylonien nicht direkt, sondern durch das Achämenidenreich durch dieses iranische Konzept. Sie wurden iranisiert – was wir ägyptisch, semitisch, babylonisch nennen, waren in der Realität iranisierte Fassungen dieser Traditionen.

Ich schlage also vor, zwischen iranisch und iranistisch zu unterscheiden so wie wir zwischen hellenisch und hellenistisch differenzieren. Also war das Achämenidenreich nicht rein iranisch, nicht exklusiv iranisch, sondern inklusiv iranisch. Dies schloss die anderen Traditionen mit ein, transformierte sie aber im Zusammenhang mit dem iranischen logos. Der Hellenismus war gewissermaßen sein Erbe und Alexander von Mazedonien trat das Erbe dieses Iranismus zur Gänze an, weil das Reich Alexanders das selbe wie das Achämenidenreich war, nur umfasstes es zusätzlich Griechenland. Jedoch wird dieses Erbe fast immer ignoriert. Man sagt, dass „Alexander von Mazedonien das orientalische Erbe und nicht das iranische Erbe antrat“ weil wir die Erwerbung dieser neuen Territorien Alexanders des Großen mit griechischen Augen betrachten. In diesem Sinne sind wir Europäer (Russen, Serben, Franzosen, Deutsche) alle Griechen, weil für uns die griechische Geschichte unsere Geschichte ist und die iranische Geschichte die Geschichte des Anderen darstellt. Niemals betrachten wir die iranische Geschichte als die unsrige. Also war es die Eroberung ihrer Territorien durch unsere Hand. Und sie wurden nicht so klar unterschieden. Also müssen wir sie überwinden, ihre Kulturen inkludieren, aber wir gehen nicht ins Detail darüber, was genau wir übernommen haben. Sie stellten nur die eroberte Kultur dar. Wenn wir aber das alles aus der Perspektive der Iraner betrachten, ändert sich alles. Es gab eine Art iranischen logos. Doch was war die Essenz dieses iranischen logos die wir in unser Verständnis der europäischen Zivilisation miteinbeziehen sollten aufgrund des Hellenismus? Ich werde nun erkläre, was am Hellenismus so wichtig ist.

Der iranische logos gründet auf den folgenden wesentlichen Prinzipien: zuallererst ist es der Krieg des Lichtes. Dieser bedeutet, wie wir bereits gestern erwähnt haben, einen radikalen dualistischen Platonismus. Er besteht im Kampf des logos des Apoll gegen den logos der Kybele, erkennt aber die Macht und die Substanz sowie die autonome Natur dieses zweiten logos an. Das ist nicht der Fall im Adveita Platonismus, dem nicht-dualistischen Platonismus, wo die Dunkelheit lediglich die Abwesenheit des Lichtes darstellt. Nein, die Dunkelheit im iranischen Konzept ist ein lebendiges, mächtiges und schließlich den Sieg davontragendes Ding. Für Platon ist die Annahme, dass das Böse über das Gute siegen könne absurd, es ist absolut unmöglich. In der Welt des Apoll und des logos des Apoll ereignet sich der ewige Sieg des Lichtes über die Dunkelheit und es existiert folglich keine Dunkelheit. In der dualistischen iranischen Fassung existiert die Dunkelheit und die Dunkelheit ist Gott, aber ein anderer Gott. Die Nacht ist mächtig und kann siegen. Der Kampf zwischen ihnen wird zum ersten Mal ernst im Vergleich zum Platonismus und der Kampf mit dem logos des Apoll stellt etwas Ernstes und Dramatisches dar, den man auch verlieren kann. Daraus ergibt sich eine komplett andere Einstellung zum Leben. Sie ist apollinisch. Iraner zu sein, bedeutet das Licht für die Iraner zu tragen, es gibt keine andere Definition. Der Iraner ist der Sohn des Lichtes, in das Feld der Dunkelheit gestellt, um dort zu kämpfen. Dies ist also eine dramatische Version des logos des Apoll mit der Anerkennung der Substanz, der Realität und der Macht des logos der Kybele. Dies ist der reine Iran.

Im iranischen Selbstbewusstsein gründet die iranische Identität auf dem Konzept, dass nur die Iraner ein reines Volk des Lichtes sind und alle anderen Völker, inklusive der Turaner, Völker der Dunkelheit. Wir haben es hier also mit einer Art metaphysischen Rassismus der Reinheit in der iranischen Tradition zu tun. Und aus diesem heraus erklärt sich die Erlaubnis des Inzest. Inzest ist auf strengste in jeder Art von Kultur, egal ob primitiv oder entwickelt verboten, nur nicht in der Iranischen. Weil die Sorge um die Reinheit der iranischen Seele, des iranischen Körpers und des iranischen Blutes dominierte, überwog sie das Inzestverbot zwischen Bruder und Schwester sowie Sohn und Mutter. Das ist in der archaischen und der entwickelten Gesellschaft beinahe unvorstellbar und war verboten. Der Inzest stellte beinahe eine Verpflichtung dar, um die Reinheit des Lichtsohns zu retten. Dies ist also eine extreme Form des apollinischen logos, aber auch die iranische Tradition. Der Iranismus schloss jedoch auch Ägypter, Semiten, Babylonier und andere Völker mit ein, er war also nicht so sehr exklusiv iranisch. Der Iranismus ist eine Art symbolische Übertragung der Qualität des Lichtsohns, nicht direkt vom konkreten körperlichen Material, sondern vielmehr vom Verständnis dessen, was der Lichtsohn als eine Art Metapher bedeutet. Der Iranismus ist also nicht iranisch, er ist nicht so exklusiv. Er ist in anderen Konzeptionen eingebettet. Das Konzept des Krieg des Lichtes wird in einem breiteren Sinne akzeptiert.

Doch gab es noch ein anderes Konzept der iranischen Tradition, das der griechischen Gesellschaft nicht bekannt war, die Idee der Zeit und die Idee der Geschichte. In der platonischen Weltsicht gibt es keine Geschichte und keine Vorstellung von Zeit als etwas Bedeutsames. Es gibt immer nur das Gleiche, den Zyklus von Geburt und Tod des Gleichen. Das ist die ewige Wiederkehr der Dinge, reiner Platonismus ohne Vernunft, ohne Fortschritt, ohne Rückschritt. Wir haben es hier mit einem komplett anderem Zeitverständnis zu tun. Sie kommen von der Quelle und sie kehren zu ihr zurück, das ist alles. Und was innerhalb dieses sublunaren Zyklus passiert, hat keine Bedeutung, kein Wissen, keinen Sinn, keine Richtung, keine Zeit und keine Geschichte. Wir haben es hier also mit der Geschichte der Ewigkeit zu tun. Die platonische Geschichte ist die Geschichte der Ewigkeit und die Zeit stellt eine Reflexion der Ewigkeit dar, also existiert sie nicht in dem uns geläufigen Sinne. Doch nur in der iranischen Tradition nimmt die Zeit Bedeutung an, weil die iranische Tradition annimmt, dass am Anfang Licht über der Dunkelheit lag. In der zweiten Phase der iranischen Geschichtssequenz fällt die Dunkelheit in das Reich des Lichts ein und beginnt es zu zerstören, stört, pervertiert und untergräbt die Normen im Reich des Lichts. Im nächsten Moment gelingt es der Dunkelheit das Licht zu überwinden und zu besiegen. Und am Ende herrscht die Dunkelheit, doch es kommt zu einer großen Wiederherstellung und Auferstehung mit der Erscheinung des auserwählten Saoschjant, der zum König und Retter der Menschheit wird. Die Zeit erscheint nun also, weil sie jetzt an Bedeutung gewinnt. Bei Platon spielt die Zeit keine Rolle. Dort gibt es keine Logik. Und hier taucht die Geschichte auf. Hier erscheinen die Zeit und die Eschatologie, hier erscheinen der Messianismus und der Messias. Hier betritt der König der Welt die Bühne, der erscheinen und das Königreich des Lichtes wiederherstellen muss, nach seiner Verwüstung im Krieg des Lichtes. Und so findet die Wiederauferstehung der verlorenen Perfektion der Schöpfung des Lichtes statt. Das ist der Iranismus. Während wir uns damit beschäftigen, wie mit etwas, das uns sehr nahe ist, war all das den Griechen komplett unbekannt. Das liegt an dem rein iranischen Einfluss, den wir an der Geschichte, Zeit, Wiederauferstehung, Eschatologie und der Bedeutung der Zeit festmachen können. In der griechisch-platonischen Welt hat die Zeit überhaupt keine Bedeutung. Nur die Rückkehr zum Ursprung ist wichtig, Zeit und Geschichte sind irrelevant. Hier gibt es nur das Beispiel vergangener Helden um es zu wiederholen. Die Helden der Vergangenheit funktionieren dabei als Paradigmen, als Ideen. Und hier erscheint die Geschichte. Genau an diesem Punkt manifestiert sich diese gänzlich neue iranische Perspektive und mit den Eroberungen Alexanders des Großen tritt dieses philosophische und metaphysische Erbe in die mediterrane-griechische Kultur ein. Was außerhalb war, wurde Teil des Inneren.

Es gibt die Vorstellung, dass die Zeit, der Messianismus und die Geschichte allesamt von den semitischen Juden durch die Bibel gebracht wurden. Aber wir wissen von der Bibel erst nach der Babylonischen Gefangenschaft. Während der babylonischen Gefangenschaft herrschte das Achämenidenreich, das den iranischen logos unter den Juden verbreitete. Das späte Judentum, das wir kennen, das mit dem Konzept des Messias, der Endzeit und der Wiederauferstehung verbunden ist, ist eine iranische Redigierung des rein semitischen ursprünglichen Judentums. Die Zeit und die Geschichte waren iranisch und hellenistisch. Der Hellenismus ist so wichtig für die europäische Kultur und für jeden europäischen Existenzhorizont, weil er auf genau zwei konzeptuellen Säulen aufbaut und nicht nur auf einer. Er besteht nicht aus der griechisch-hellenischen Kultur und etwas Orientalischen oder Semitischen. Er ist griechisch und iranisch. Der Hellenismus ist gleichzeitig auch Iranismus und die hellenistische Kultur und die hellenistische Welt waren genau der Existenzraum, welcher das hellenistische Dasein schuf. Das hellenistische Dasein war die Grundlage der europäischen Kultur in ihrer nächsten Phase. Wichtig ist hier zuallererst zu erwähnen, dass der hellenistische Raum und das Dasein das Herrschaftszentrum verändert hatten. Dies zog eine Verschiebung von der griechischen zur römischen Dominanz nach sich. Das alte Rom vertrat den logos des Apoll in Italien. Die Eroberungen Roms im Mittelmeerraum zogen die Eroberung der hellenistischen Welt nach sich. Und dies stellte auch eine Verschiebung von den Römern zum Römischen Reich und der späten Republik dar, weil all dies lange vor dem Reich begann. Nach dem Sieg über die Griechen begann sich die römische Kultur zu verändern, die römische Kultur wie wir sie heute kennen ist das hellenistische Rom. Doch setzt sich der Hellenismus aus griechischen und iranischen Elementen zusammen. Der römische Mithraskult und viele andere Aspekte wurden aus hellenistischen Quellen übernommen. Genau dieser griechisch-römisch-iranische Hellenismus in seiner römischen Fassung verbreitete sich bis ins nördliche Westeuropa und auf den Balkan. Die römischen Eroberungen waren also in ihrer kulturellen Dimension hellenistisch. Überall wo die römischen Soldaten hinkamen, brachten sie den Hellenismus mit sich.

Was aber war der Hellenismus? Der Hellenismus war der logos des Apoll in der griechisch-platonischen Tradition, der logos des Dionysos in der griechisch-mysteriosophischen und auch heraklitischen Tradition, ebenso wie der logos des Apoll in seiner iranischen Version, dualistisch mit einer Vorstellung der Zeit, einem Konzept des Krieges des Lichtes, mit einer messianischen Eschatologie und keinem logos der Kybele. Der logos der Kybele war in den Tiefen des Existenzraumes anwesend, wurde aber nicht klar repräsentiert. Er kam nur in Zusammenhang mit Pergamon vor und einer Geschichte über die Prophezeiung der Sibylle, welche dazu aufrief den schwarzen Stein der Kybele von Phrygien nach Rom zu bringen, aber alles das ist mehr oder weniger marginal. Es gab zwar eine Art matriarchalen Kult im römisch-hellenistischen Reich, aber er war nicht dominant. Die dominante Kultur war apollinisch, griechisch-apollinisch, iranisch-apollinisch und griechisch-dionysisch, eben genau weil der Hellenismus die Kultur des Römischen Reiches darstellte. Und das war das Christentum, denn das Christentum wurde über diesem Raum errichtet und stellte die logische Fortsetzung derselben Kultur dar, die Christianisierung des Hellenismus in seiner gräco-romanischen Fassung. Der iranische Aspekt im Christentum war entscheidend. Aber nun sehen wir den römischen Hellenismus mit dem dominierenden logos des Apolls. Dieser wurde mit einigen Aspekten der dionysischen Kultur bis zur Moderne bewahrt. Der lateinische logos, der auch der logos des Römischen Reiches ist, ist hellenistisch, ebenso römisch in seinen tiefsten Wurzeln, aber hellenistisch und gräco-iranisch auf der nachfolgenden Ebene. In der römischen Kultur waren einige Aspekte des Dualismus stärker akzentuiert als im byzantinischen Christentum. Der Heilige Augustinius war in seiner Jugend Manichäer. Der Manichäismus ist eine Form des Iranismus und dieser ist dualistisch. Dementsprechend ist das manichäische und iranistische in Rom ein kleines bisschen präsenter als in Byzanz, wo ein viel dionysischeres Gleichgewicht herrscht. Man könnte auch sagen, dass in der byzantinischen Orthodoxie ein nicht dualistischer Platonismus vorherrscht, während im römisch-lateinischen Katholizismus eine dualistische Lesart des Platonismus dominiert. Nichtsdestotrotz gründete das römisch-katholische Reich auf dem logos des Apolls mit einem mehr an Dualismus und einem weniger an dionysischen Elementen, es war aber gleichzeitig rein indoeuropäisch. Genau darin lag das Schicksal Italiens bis vor kurzem. Die Bewahrung des apollinischen logos war der Moment der Noomachie für Italien, er lag darin der Ort zu sein, wo Rom war, das Zentrum des Römischen Reiches, von den germanischen deutschen indoeuropäischen Stämmen überrannt zu werden, einen neuen Staat zu erschaffen, aber dennoch gegenüber dem Christentum in seiner katholischen Form, diesem christianisierten Hellenismus bis zum Ende gegenüber treu zu bleiben.

Die letzte Form davon finden wir, wenn auch in einer sehr modernisierten und pervertierten Weise, im italienischen Faschismus vor. Er war die Fortführung der apollinischen Haltung. Er war eine vertikale Hierarchie in moderner Fassung, er stellte eine Art gerade Linie dar. Davor fand das Tridentinische Konzil statt, indem der Katholizismus sich weigerte, den Weg des Protestantismus zu gehen. Die Verteidigung der katholischen Identität und der apollinisch-römischen Identität waren das Schicksal des italienischen Existenzhorizontes. Der Faschismus war also nicht nur eine Karikatur. Er lieferte zwar in gewissen Aspekten eine absolute Karikatur der römischen Tradition , denn alles in der Moderne war eine Karikatur, aber gleichzeitig war in ihm etwas Logisches und er stellte die Fortsetzung der römischen Tradition auf eine sehr besondere Art und Weise dar, er war ihre Fortführung und Verteidigung.

Den nächsten Existenzhorizont Europas finden wir in Frankreich vor und in der keltischen Tradition. Worin liegt die Besonderheit des keltischen Existenzhorizonts? Es ist die Macht des weiblichen Prinzips, die Kraft der Mutter. Die keltische Tradition besitzt frische matriarchalische Wurzeln, daher war die keltische Christenheit viel freundlicher gegenüber dem Feminismus eingestellt. Es ranken sich viele Legenden und Mythen um die Insel der Mütter. Der Tod wurde als weiblich angesehen. Vielleicht gründete auch die Tradition der mittelalterlichen Ritter mit dem Kult der Liebe auf dieser keltischen Traditionen. Der Autor Denis de Rougemont versuchte sich dem Quellenstudium zu widmen und verfasste das Buch „Die Liebe und das Abendland“, indem er den Wurzeln der Tradition der glorifizierten Liebe in der ritterlichen Kultur des Mittelalters nachspürte. Auch hier finden wir im keltischen Einfluss eine sehr starke Präsenz der Großen Mutter. Ich gab dem Buch über die französische Kultur den Titel „Der französische logos: Orpheus und Melusine. Melusine war der Name einer weiblichen Fee, die einen weiblichen Drachen in der keltischen Mythologie darstellte. Orpheus war ebenfalls eine sehr wichtige Figur thrakischen Ursprungs in der französischen und keltischen Kultur, weil die Idee, in das Zentrum der Hölle hinabzusteigen um das weibliche Prinzip zu treffen, das dort haust, gewissermaßen das Schicksal der französischen Kultur in ihrem besten und schlechtesten Aspekt ist. Dies war eine Art Reise zum Mittelpunkt der Erde um die Weiblichkeit, die Mutter zu entdecken.

Der deutsche logos unterschied sich stark von dem der Kelten. Es war heroisch, kriegerisch und apollinisch. Und es gab einen Kampf gegen die chthonischen Kräfte, der in gewisser Weise dem iranischen Fall ähnelte. Dieser ist ein ewig andauernder Kampf. Deutscher zu sein, bedeutet zu kämpfen. Die Deutschen kämpfen pausenlos gegen Schlangen, Drachen, gegen jeden um sie herum. Wenn wir uns an Gilbert Durand erinnern, ist dies der paranoide Typ der Kultur, aber sehr stark patriarchal ausgerichtet mit anelygenischen Beziehungen zu den Walküren. Die deutschen Frauen ähneln also mehr den deutschen Männern. Sind sind vom selben Schlag. Sie sind kämpferisch wie Brunhilde. Das ist eine Art heroische Gesellschaft und ihr Schicksal liegt im Kampf gegen die Titanen. Wenn die Deutschen jedoch ihrem Schicksal folgen, kämpfen sie so ernsthaft und fanatisch, dass sie nicht den Moment erkennen können, indem ihr Kampf selbst titanisch wird. Sie kämpfen so viel und so hingebungsvoll, dass sie die natürlichen Grenzen überwinden, was ein titanischer Aspekt ist. Folglich beginnen sie sich selbst zu zerstören und jeden um sie herum. In Hitler tritt der titanische Aspekt des wahrhaft deutschen Geistes klar zu Tage. Es war eine gute Idee Großdeutschland zu schaffen, aber es war keine gute Idee alles zu zerstören und danach Deutschland selbst mit dieser Maßlosigkeit zu vernichten. Es gibt den griechischen Begriff „Hybris“ der die Abwesenheit jeglicher Mäßigung bedeutet. Wenn Sie zum Beispiel ihren Feind im Kampf töten, dann ist das gut für das heroische Ethos. Wenn Sie aber zum Beispiel sein Kind schänden, um den Kampf fortzusetzen, dann handelt es sich hierbei um Hybris. Das passiert, aber es wird nicht als besonders heroisch betrachtet, ebenso wie die Vergewaltigung von Frauen, die ebenfalls ein Teil des Krieges ist. Aber es handelt sich hierbei um Hybris. Vielleicht ist es in einer bestimmten Situation Hybris und in einer anderen nicht, aber es handelt sich dabei in jedem Fall um ein Übertreten natürlicher Grenzen. Im deutschen Fall erkennen wir den rein apollinischen Kriegergeist der manchmal die Grenzen übertritt und die Feinde der Titanen werden dadurch selbst zu Titanen. Sie versuchen also, den Anderen zu überwinden und tauschen dabei den Platz mit ihm in der Geschichte. Indem sie als Krieger des Himmels gegen die Erde kämpfen, fangen sie an, die Erde mit chthonischen Methoden zu bekämpfen.

In der iranischen Tradition gab es die bedeutende Idee, dass das Heer des Lichtes schwächer ist, als das Heer der Dunkelheit und seine Niederlage ein notwendiges Element für die Wiederauferstehung und den endgültigen Triumph darstellt. Dieser sehr bedeutende metaphysische Aspekt verdeutlicht uns, dass Sie um zu siegen zunächst eine Niederlage gemeinsam mit dem Licht erleiden müssen. Wenn das Licht sterben sollte, ist es besser, mit ihm unterzugehen, als mit der Dunkelheit zu siegen. Die Gewalt hat also nicht das letzte Wort. Das letzte Wort haben die Wahrheit und das Licht. Die Idee lag also darin, dass wenn wir ein gewisses Maß überschreiten, Grenzen hinter uns lassen und zu viel kämpfen, wir alles zerstören können. Darin liegt das deutsche Schicksal und der deutsche logos. Im Falle des deutschen Protestantismus gab es am Anfang die ungemein wichtige Idee, dass Christus in uns ist, nicht nur außerhalb von uns, nicht nur zum Kult gehört und nicht nur von außen kommt. Christus kommt von Innen. Das war die eigentliche Idee des Protestantismus. Der Platonismus und die deutschen Mystiker wie etwa Meister Eckhart waren im Inneren des Zentrums des frühen Protestantismus. Aber ohne Maß artet es zur Hybris aus und wird zu etwas ganz anderem: zu Individualismus, Rationalismus, der Abwesenheit der Mysterien, dem Fehlen von Demut im Angesicht Gottes. Das war der häretische Arianismus, es handelte sich hierbei um eine Rückkehr des Arianismus. Der Protestantismus war also in seinen besten, als auch in seinen schlechtesten Aspekten deutsch. Er ist die titanische Version des Christentums, weil der Katholizismus und die Orthodoxie seine apollinische Fassung darstellen. Aber der moderne Protestantismus und insbesondere der Calvinismus sowie die anderen radikalen Versionen des Protestantismus sind nicht christlich, sie sind titanisch.

Wir kommen nun also zu England und dem britischen Horizont. Als ich mich in die britische Geschichte vertiefte, kam ich zu dem Schluss, dass ich kein Buch über den „englischen logos“ schreiben konnte, weil es mir nicht möglich war, den englischen logos zu finden, jedoch entdeckte ich eine profunde Dualität in der englischen Kultur. Einerseits war hier der keltische Pol, vertreten durch die Waliser, Irland und Schottland, die Teil der keltischen Welt und des keltischen Existenzhorizonts sind. Dieser ist gewissermaßen auch ein Teil Frankreichs mit der selben Faszination für das weibliche Prinzip, mit dem selben Abstieg in die Hölle, der schwarzen Romantik und so weiter. Der keltische Teil ist nicht nur irisch und schottisch, er umfasst auch Wales und das Innere der englischen Gesellschaft selbst. Die Stuartdynastie war keltisch, die keltischen Elemente lassen sich also im Inneren der englischen Identität verorten, sie sind nicht außerhalb von ihr. Außerhalb finden wir die radikalen Aspekte in Irland, Schottland und Wales. Aber die Mehrheit der Population der Britischen Inseln bestand aus germanisierten Kelten. Der andere Pol ist also deutsch.

Diese Mischung keltischer und germanischer Elemente schuf also weder einen neuen logos, noch einen neuen Existenzhorizont. Vielmehr brachte sie die englische Schizophrenie und Bipolarität hervor. Hier besteht eine unausgeglichene Mixtur zwischen deutschen und keltischen Elementen, die zu keiner Synthese gelangte, hier kam es zu einer Verwirrung gegensätzlicher Elemente. Sie schufen keinen geeinten logos und keine vereinte Identität, sie schufen vielmehr eine bipolare Gesellschaft die im Inneren sehr unruhig ist. Ein weiteres Beispiel für die Beziehungen zwischen keltischer und deutscher Identität stellen die Schweiz, Belgien und all jene Länder dar, welche aus dem Erbe Lothars hervorgingen, dem dritten Erben von Karl dem Großen. In der Schweiz besteht ein sehr fragiles Gleichgewicht zwischen den beiden Identitäten. Es handelt sich hierbei nicht um eine Synthese, sondern um eine Harmonisierung. Was wir im Fall Englands sehen, ist hingegen eine absolute Disharmonie, die Abwesenheit jeglicher Harmonie. Hier existiert ein sehr aggressiven deutschen Teil und ein extrem depressiver keltischen Teil. Beide zusammen formen kein holistisches Ganzes, nichts innerliches. Sie bilden vielmehr eine bipolare Entität mit einem tiefen Konflikt im Inneren, den es in sich selbst nicht lösen konnte, also trug es diesen Konflikt in Form der Expansion des Britischen Empire nach außen. Es expandierte als eine Art Explosion dieser zwei gegensätzlichen Identitäten, die keinen gemeinsamen logos bilden konnten. Der Konflikt schuf das Britische Empire des Kapitalismus, Imperialismus und Liberalismus. Wenn der französische keltische logos zum Beispiel viel dionysischer ist mit vielen Aspekten des schwarzen Dionysos und der deutsche logos apollinisch ist mit einer Möglichkeit sich situationsbedingt ins Titanische zu wandeln, dann übernahm die englische Kultur und Identität den schwarzen Dionysos und den titanischen Aspekt des deutschen logos, vereinte sie auf eine sehr konfliktreiche Art und Weise und expandierte über den ganzen Erdball. Wir haben es hier also nicht mit einer Art von Kolonialismus zu tun, sondern mit einer Krankheit, die im Inneren nicht geheilt wurde und auch nicht geheilt werden konnte. Dies manifestiert sich im Hauptmythos Englands, dem Kampf zwischen dem roten Drachen und dem weißen Drachen und ist der Anfang seiner Geschichte. Der rote Drache repräsentiert die keltische Identität und der weiße Drache die deutsche Identität. Der Kampf dieser beiden Drachen dauert bis heute an. Auch die Explosion des Britischen Empires änderte nichts an diesem Umstand und heilte nicht den englischen Geist. Der englische Geist bleibt krank und bipolar, doch nun ist er dazu verpflichtet, sich diesem nie enden wollenden Kampf in seinem Inneren zu stellen. Das ist eine sehr interessante Idee – es gibt keinen englischen logos. In Frankreich können wir den logos ausmachen, ebenso in Deutschland. Wir können den logos in Italien, Griechenland und anderen Ländern identifizieren, aber nicht in England.

Es gibt einen nordamerikanischen logos. Südamerika stellt eine Fortsetzung des lateinischen logos mit einer apollinischen Struktur dar. Er wurde in die präeuropäische Population nicht ohne Probleme im Rahmen einer Synthese eingebettet. Und die Angelsachsen brachten ihre Krankheit nach Nordamerika. Dies begann damit, dass sie die Kultur der Indianer zerstörten und sie nicht in ihre Gesellschaft integrierten. Als Ergebnis schufen sie eine absolut kranke nordamerikanische Gesellschaft als Fortsetzung des selben Problems. Es gibt jedoch eine Art amerikanischen logos in der pragmatischen Philosophie. Die Lösung für sie ist der Pragmatismus als wesentliche Tendenz in der nordamerikanischen Philosophie. Was ist Pragmatismus? Er stellt die Idee dar, dass es kein normatives Wissen über das Subjekt gibt und das es kein normatives Wissen über das Objekt geben kann, sowie das es die Interaktion in der Praxis gibt. Wenn etwas funktioniert, ist es. Wenn etwas nicht funktioniert, dann geht es sich vielleicht beim nächsten Mal aus. Es gibt kein Konzept dafür, was ein Subjekt oder ein Objekt sein sollen, davon was die Materie, die Natur, der Kosmos oder die menschliche Seele sein sollen. Wir könnten vortäuschen jedermann zu sein – Elvis Presley, ein Marsmensch, ein Angelsachse, jedermann. Wenn es funktioniert, dann ist es schön. Wenn es nicht funktioniert, dann ist das schlecht für Sie. Wir können die Welt also behandeln wie wir wollen. Darin liegt eine Art von pragmatischer Freiheit. Auf diese Art und Weise versuchten die amerikanischen Philosophen, Heidegger zu adaptieren. Heraus kam dabei nicht Heidegger, sondern seine amerikanische Lesart, weil sie nur an das Glauben, was dazwischen ist, an die Interaktion, das Praktische. Wenn Sie zum Beispiel eine Zeitmaschine bauen wollen, um in vergangene Zeiten zu reisen, steht Ihnen frei, das zu tun, weil etwas passieren könnte. Vielleicht reisen sie nicht in die Vergangenheit, aber Sie könnten neue Elemente entdecken oder neues Wissen erwerben, welches sie verkaufen könnten oder eine neue Flasche für Coca-Cola. Sie sind komplett frei zu tun, was auch immer sie wollen, da es keine Grenzen des Objekts oder Subjekts gibt, es gibt kein Innen und kein Außen, nur Interaktion. Die Interaktion ist praktisch und pragmatisch wenn sie gut für Sie ist. Das ist der amerikanische logos. Er ist sehr besonders und nicht angelsächsisch, er ist etwas anderes.

In der gegenwärtigen Epoche des Globalismus erleben wir den Verlust von diesem logos, weil Amerika nicht vortäuschen kann, kolonialistisch zu sein, da der Kolonialismus ein klar definiertes Ziel hat. Amerika ist also nicht mehr amerikanisch, es befindet sich in der Hand einiger anderer Gruppen. Der amerikanische logos ist nicht so beschaffen, er ist pragmatisch und kann kein Ziel tolerieren. Sie können handeln und etwas passiert oder passiert nicht und Sie können sich glücklich fühlen oder nicht, aber Sie können alles ausprobieren und Sie sollten niemanden etwas vorschreiben. Die politische Korrektheit hingegen ist antiamerikanisch und antipragmatisch. Sie können alles sagen, alles tun und die Denkmäler errichten, die sie wollen oder gar keine Denkmäler, weil es innerhalb und außerhalb nichts gibt, nur Interaktion. Das ist also das rein Amerikanische in seiner besten oder schlechtesten Verfassung, der amerikanisch-pragmatische logos. In der Gegenwart ist Nordamerika aber nicht so, es ist anders.

Das ist die Analyse mehr oder weniger verschiedener Existenzhorizonte und Kulturräume der europäischen Zivilisation. Ich habe bereits einige Worte über die Slawen verloren. Wir sind eine indoeuropäische Gesellschaft, die während der letzten Jahrhunderte unter großen Einfluss des Westens stand, daher teilen wir zum Teil die Probleme der Deutschen, Franzosen, Briten, Griechen und Lateiner. Wir werden eine eigene Einheit über die serbische Identität halten, ich möchte daher dem nicht vorgreifen. Was ist aber unser slawischer logos? Er ist offensichtlich ein Teil des hellenischen Kulturraumes, da alle anderen Identitäten, die ich beschrieben habe das Ergebnis dieses christlichen Hellenismus in verschiedenen Kombinationen sind. Ebenfalls klar ist aber auch, dass wir so etwas wie den slawischen logos als etwas bereits Abgeschlossenes nicht besitzen. Das Interessanteste an ihm ist, dass er gerade deswegen für uns eine Herausforderung ist, weil er ein offener logos ist. In einem eigenen Buch habe ich die Möglichkeit einer russischen Philosophie aufbauend auf Heidegger untersucht. Ich habe bis jetzt noch nicht den letzten Band der Noomachie geschrieben, welcher sich dem russischen logos widmen wird, egal ob er möglich sein wird oder nicht. In meiner Beschäftigung mit der osteuropäisch-slawischen Tradition habe ich festgestellt, dass ein slawischer logos möglich ist und wir ihn an einem Punkt in der Geschichte erreichen werden.

Wir kamen in eurer Geschichte mit Dušan dem Mächtigen diesem Moment sehr nahe, aber auch während des ersten und zweiten bulgarischen Königreichs in der Geschichte der Bulgaren, während des polnisch-litauischen Königreiches und während der Herrschaft Großmährens. Wir haben aber niemals die endgültige Version dieses osteuropäischen logos erreicht, auch in Russland nicht. Unser Existenzhorizont ist also noch nicht vollendet, er hat noch nicht seine letzte Form erhalten und genau darin liegt vielleicht unsere historische Herausforderung. Die slawophilen Denker hatten erkannt, dass wir in der Geschichte später ankamen, als die anderen, zu einem Zeitpunkt, als es bereits ein großes Gebäude der deutschen Philosophie, der deutschen politischen Geschichte, der französischen Philosophie, der römischen Philosophie, griechischen Philosophie und auch derer politischen Geschichte gab. Wir Slawen sind dort erst ein bisschen später angekommen, nicht in der Geschichte, sondern im Verständnis der Geschichte, des logos unserer Geschichte und unserer Philosophie. Unsere Philosophie ist ein bisschen kindisch und infantil. Ein großartiges Beispiel dafür ist der intellektuelle Reichtum unserer großen Denker wie etwa Dostojevsky, aber all das ist nur die Ahnung der Ankunft unseres logos und nicht der logos selbst. Wir leben in der Erwartung des slawischen logos. Wenn wir etwa die Vergangenheit studieren, können wir viele heroische Taten erblicken, aber wir können nicht sagen „Das ist unser logos!“ Nein, er ist etwas Anderes. Es gibt den Heiligen Sava, der am Beispiel Serbiens für die Erwartung des serbischen logos steht, für die Erwartung der Geschichte. Die Gründung der Nemanjadenynastie, Russlands Iwan der Schreckliche und andere Momente in unserer slawischen Geschichte stellten die Erwartung des logos dar, aber nicht den logos selbst. Dies ist meine persönliche Meinung und es ist noch immer am schwierigsten den eigenen logos zu beschreiben anstatt den der anderen, weil es eine tiefe Introspektion innerhalb unserer eigenen Kultur verlangt.

Nichtsdestotrotz sollten wir uns eingestehen, dass wir für viele Jahrhunderte unter dem Einfluss anderer Existenzhorizonte standen, die viele Dinge in unserem gegenwärtigen Bewusstseins definierten. Das wird immer die wissenschaftliche Wahrheit bleiben. Wir haben unsere Identität und den Kern unseres slawischen Existenzhorizonts erhalten. Vielleicht ist er in den Tiefen verschüttet, aber er existiert noch immer, wie der serbische Widerstand gegen die Globalisierung deutlich beweist. Dies ist eines der Beispiele, und ja, er endete in einer Niederlage, aber die Schlacht auf dem Amselfeld endete auch in einer Niederlage. Aber auf dieser Niederlage baut der künftige Sieg auf. Auf dieser Niederlage, auf dieser Kapazität, Widerstand zu leisten, gründet die zukünftige Wiederauferstehung. Das ist nicht nur der Tod als Niederlage, sondern der heroische Tod. Er stellt immer das Versprechen der Wiederauferstehung dar. Um die Wahrheit zu sagen, konstatiere ich eine sehr pessimistische Haltung in der modernen slawischen Gesellschaft, aber gleichzeitig bin ich sehr optimistisch, was die Möglichkeit der Vollendung dieses logos anbelangt. Bis jetzt ist er nicht vollendet, aber er stellt die große Herausforderung für die kommenden Generationen der slawischen intellektuellen Elite dar, welche die Aufgabe hat, unsere gesamte geschichtliche Erfahrung (nicht die historische) und die geschichtliche Sequenz unserer ontologischen Existenz in der Welt zum Ziel zu bringen. Ich denke, dass wir die Kulturen der anderen europäischen Völker studieren sollten. Wir müssen diese Existenzhorizonte gründlich studieren, um zu verstehen, wer wir sind und wer um uns herum lebt, mit wem wir es zu tun haben, wer die Unterdrücker sind, wer unsere Retter, Freunde und Feinde, aber in der Hauptsache, um zu verstehen, wer wir sind. Denn ohne zu wissen, wer die Anderen sind, können wir selbst uns nicht definieren. Wenn wir uns selbst verstehen, verstehen wir den Anderen. Um also diesen slawischen logos zu etablieren, reetablieren oder zu entdecken, müssen wir also auch den logos und die Geosophie der europäischen Welt studieren, der indoeuropäischen Welt und ihrer Völker. Darin liegt die Wichtigkeit der Noomachie.

Aus dem Englischen übersetzt von Alexander Markovics