Alexander Dugin – Der postmoderne Antimoderne

Der russische Philosoph Alexander Dugin ist so etwas wie der Slavoj Žižek der Rechten, wenn auch eine Spur kohärenter in seinem Denken als der slowenische Neomarxist (der übrigens neulich überführt wurde, vom Klassenfeind abgeschrieben zu haben).  Nun hat es Dugin, bisher eher ein Fall für Spezialisten und Esoteriker, in das Leitmedium aller Leitmedien geschafft, den Spiegelder ihn ausführlich interviewt hat.

Als weltanschaulich schillernder Kopf, dessen Ideen man im Westen aufgrund mangelnder Übersetzungen eher vom Hörensagen als aus eigener Anschauung kennt, übt er eine nachhaltige Faszination auf viele Rechtsintellektuelle aus. Eingeweihte in Deutschland rezipieren das russische Fabeltier schon seit den Neunziger Jahren (etwa durch die damals einzigartigen Russland-Berichte von Wolfgang Strauss in den Staatsbriefen).

Fanatischen „Westlern“ wie Richard Herzinger gilt Dugin seit langem als Vordenker der Mächte des Bösen schlechthin (so spukte er bereits 1995 an der Seite von Alain de Benoist und artverwandten Denkern durch Herzingers Schmöker „Endzeitpropheten – Die Offensive der Antiwestler“).

Aber auch so mancher Konservative gruselt sich vor dem wahlweise als „Faschisten, Satanisten, Nationalbolschewisten, Monarchisten, Rassisten“ usw. Titulierten (siehe etwa die im Februar in der Blauen Narzisse geführte Diskussion: hierhier und hier.) Dagegen wird Dugin vor allem in deridentitären Szene besonders geschätzt, die sein Buch „Die vierte politische Theorie“ zur Pflichtlektüre erhoben hat. Und dieser schwärmerische Berichtvon Theorieseite Der Funke betont seine charismatische Persönlichkeit:

Dugin ist auf jeden Fall eine beeindruckende Erscheinung, die allein schon den Rasputin-Vergleich rechtfertigen würde. Ein kantiges, eher asketisches Gesicht, umrahmt von einem imposanten Bart, der doch nicht von den zwei stechenden Augen ablenken kann – Wer könnte uns also diese Assoziation übel nehmen? Man merkte, wie der 9-sprachige Denker sich im Laufe seiner Rede selbst mitriss, ganz von seinen eigenen Gedanken fasziniert – einer Faszination, der der Schreiber dieser Zeilen, trotz einer „dicken Haut“ was politische Reden und akademische Vorträge betrifft, unweigerlich verfiel.

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Der wesentliche Punkt, warum Dugin für die identitäre Theorie von so großem Interesse ist, ist dieser:

Dugins tiefstes Bekenntnis galt, und das zerstäubte alle Befürchtungen, einer MULTIPOLAREN Welt. Er ist ein Verfechter der Vielfalt und des Völkerrechts. (Hier wird auch sein Einfluss auf/Gleichklang mit Putins Politik erkennbar, der sich stets auf das Völkerrecht beruft.) Sein großer Feind ist die atlantische Pest des Westens, die er mit einer jugendlichen Wut bekämpft, welche auch uns Jüngeren imponieren kann.

Von besonderem Reiz ist dabei Dugins Beschwörung der Notwendigkeit einer neuen politischen „Theorie“, die den Liberalismus (PT1), Kommunismus (PT2) und Faschismus (PT3) überwinden, also dem Rassen-, Klassen- UND Kassen-Kampf ein Ende setzen und ein neues Zeitalter einleiten könne. Hier bleibt es allerdings einstweilen bei Geraune und Heideggerei – denn der konkrete Angelpunkt, den diese kommende „vierte Theorie“ haben soll, ist bislang eher unklar.

Thorsten Hinz besprach Dugins Buch in der Jungen Freiheit eher skeptisch als „krude Mischung aus Apokalyptik, Eschatologie, Dezisionismus und Anarchismus.“

Dugin tritt hier zum einen als Zeitdiagnostiker und Liberalismus-Kritiker, zweitens als politischer Theoretiker und Visionär, drittens als Geopolitiker auf. Er bezieht sich auf Ernst Niekisch, Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Carl Schmitt, Alain de Benoist, aber auch auf Samuel Huntington, Francis Fukuyama, auf Strukturalisten wie Claude Lévi-Strauss, auf Vertreter der Postmoderne, der Sprachphilosophie und Medientheorie. Das frappiert zunächst, wirkt allerdings je länger, desto eklektischer. Sein wichtigster Bezugspunkt aber ist Martin Heidegger.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 habe der Liberalismus seinen letzten Gegner verloren, nachdem der Faschismus/Nationalsozialismus bereits 1945 in einer gemeinsamen Anstrengung zerschmettert worden war. Eingetreten ins Stadium der Postgeschichte und Postpolitik, erhebe er einen Absolutheitsanspruch und erkläre sich zur einzig möglichen Praxis. Statt Klasse, Rasse oder Staat mache er das Individuum zum einzigen „normativen Thema“, das sich mit der Globalisierung überkreuze. Die Menschenrechtsideologie sei Ausdruck dieser Synthese. Im Grunde handele es sich um einen „Postliberalismus“.

Nietzsche hat den „letzten Menschen“ klassifiziert, der konsumiert und genießt und den abhanden gekommenen geschichtlichen und geistigen Horizont nicht einmal vermißt. Der globalisierte Postliberalismus aber bleibt dabei nicht stehen. Die Zerstörung nationaler und kultureller Identitäten ist erst der Anfang. Gerade räumt er die sexuelle Identität als ein vermeintliches Konstrukt ab, um schließlich die menschliche Identität als solche zu zerlegen. Das alles führe zur Schleifung von Hierarchien und Differenzen und zur Nivellierung der Maßstäbe. Die Helden der Postmoderne seien Transvestiten und sonstige Deviante. Die Logik des Weltliberalismus führe geradewegs in den „Abgrund postmoderner Auflösung und Virtualität“. Er bediene sich der modernen Technik und der Medien, die die Menschen in den Kosmos einer ewigen Gegenwart aus Unterhaltung, Promis und Glamour versetzen, wo es weder eine Vergangenheit noch eine Zukunft gibt. Die Entwicklung wird auf der machtpolitischen Ebene von den USA vorangetrieben. Ihr Ziel: ein globales Amerika.

Die Abkehr von Gott, Tradition, Ethnizität oder Staat ist für Dugin nicht bloß ein politischer Fehltritt, sondern der zwangsläufige Weg der Moderne: „Diesen Weg geht man völlig logisch; der Entscheidung, sich von allem zu befreien, was die menschliche Willkür im Zaum hält, folgte die logische Vollendung des modernen Menschen: Er befreite sich vor unseren Augen von sich selbst.“ Er gehorche einer „weltweiten metaphysischen Kraft“, die Dugin mit Heidegger erklärt: Die abendländische Philosophie sei vor der Schwierigkeit, das Sein zu denken, in das technische Denken ausgewichen, das als „Gestell“ von ihm Besitz ergriffen habe.

(…)

Da weder die Klasse noch die Rassen, noch das Individuum mehr zum geschichtlichen Subjekt taugen, ist ein neues, synthetisches Subjekt vonnöten: das „Dasein“ selbst, das als plötzliche Aufhebung der Subjekt-Objekt-Spaltung ins politische Leben tritt. Das soll wohl heißen: Die nichtentfremdete Existenz wird zum politischen Akteur und schafft Ordnung in der Welt. An anderer Stelle heißt es mysteriös, das „Dasein“ erscheine als „radikales Androgynes“, das „nicht als Resultat einer Synthese aus Mann und Frau entstanden ist, sondern stattdessen deren ursprüngliche, unberührte Einheit bildete“.

Die Faszination für Dugin überschneidet sich heute oft mit der Faszination, die viele Rechte und Konservative generell für Putins Rußland hegen, das sowohl ein alternatives Gesellschaftsmodell anzubieten scheint, als auch die Versuchung weckt, einen anderen starken Hegemon als die USA ins Auge zu fassen, solange Europa nicht fähig ist, zu einer wahren Einheit und Eigenständigkeit zu finden.

Die weitverbreitete Skepsis gegenüber der anti-russischen Propaganda der Massenmedien kann an dieser Stelle auch ein Indikator sein, wie sehr das Mißtrauen gegenüber den hiesigen politischen und medialen Eliten im Wachsen begriffen ist. Und Dugin ist ein Mann, der diesen Eindruck zu bestätigen scheint – siehe etwa dieses von Manuel Ochsenreiter geführte Interview.

Auch Dugins Gegner vermuten in ihm einen „Rasputin Putins“, der entscheidend daran beteiligt ist, mit den EU-kritischen Rechtsparteien Europas eine finstere Allianz gegen den US-amerikanischen Hegemon (aka „Demokratie und Menschenrechte“) auszuhecken. Exemplarisch für diese Sicht ist etwa deraktuelle Beitrag Richard Herzingers für die Juli/August-Ausgabe der Zeitschrift Internationale Politik.

Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem russischen Politologen, Publizisten und Politiker Alexander Dugin zu. Hatten seine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entwickelten aggressiv antiwestlichen, großrussisch-nationalistischen Theorien zunächst nur sektiereri
sche und esoterische Randgruppen erreicht, stieg er in den
vergangenen Jahren zum vielleicht einflussreichsten Intel
lektuellen Russlands auf, der bis in höchste Regierungskrei
se hineinwirkt. Wie weit er direkt das Ohr des Kreml-Herrn erreicht, ist indes strittig. Doch in Reden und Erklärungen Putins finden sich in jüngster Zeit immer häufiger Formulierungen und Wendungen, die wortgleich auch von Dugin gebraucht werden. Nicht zuletzt Putins Projekt einer „Eurasischen Union“ ist von Dugins Ideologie des „Neo-Eurasismus“ inspiriert.

Dessen spekulativer kulturphilosophischer Kern ist die Vorstellung von einer fundamentalen Gegnerschaft zwischen erdverbundenen „Eurasiern“ und entwurzelten, seefahrenden „Atlantikern“, womit im Wesentlichen die angelsächsische Welt und namentlich die USA als Ausgeburt einer „kosmopolitischen und antinationalen Zivilisation“ gemeint sind. Diesen angeblich seit Jahrtausenden die Weltgeschichte bestimmenden Gegensatz sieht Dugin jetzt in einen „Endkampf“ eintreten, wobei Russland als einer Art Erlösermacht die Mission zukomme, die Welt von der vermeintlich wertezersetzenden Überformung durch den „Amerikanismus“ zu befreien.

Der Clou bei Herzinger besteht darin, daß er diese skizzierte Ansicht im Grunde spiegelbildlich teilt, nur mit einer umgekehrten Wertung versieht: es gibt in Deutschland wohl kaum einen emsigeren und rechtgläubigeren Propagandisten der globalen Welterlösungsmission der USA als ihn.

Besonders amüsant und aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Titelgrafik, die Herzinger für seinen Blog „Die freie Welt“ gewählt hat: sie sieht aus wie ein Filmplakat aus den Fünfziger Jahren, mit entsprechender Schrifttype und mit Marilyn Monroe als fröhlicher Quasi-Hure-Babylon, die den Erdball unter den ikonisch hochflatternden Rock gucken läßt.Womit die Quintessenz der sogenannten „westlichen Werte“  wohl auch trefflich zusammengefaßt wäre.

Das ganze macht den Eindruck eines nostalgisch versteinerten Care-Paket-Syndroms, das in einer ewigen Fünfziger-Jahre-Zeitschleife steckengeblieben ist, noch bevor sich die Liberalisierung des Landes zum totalen Hedonismus radikalisierte und im Gefolge der 68er-Bewegung paradoxer- aber nicht unverständlicherweise in linken Antiamerikanismus und Terrorismus umschlug.

Marilyn Monroe als Wappenheilige der „freien Welt“ à la Herzinger! Das erscheint geradezu putzig „konservativ“. Unsere heutigen Babylonhuren sind da schon um einiges weiter heruntergekommen. Vielleicht sollte Herzinger das Bild „updaten“ und Marilyn Monroe durch zeitnähere Pendants ersetzen, etwa durch die zur antirussischen „Toleranz“-Freiheitsstatue aufgebaute Kunstfigur „Conchita Wurst“ oder das Pop-Nüttchen Miley Cyrus mit ihren psychotisch-lasziven Borderline-Flair-Videos.

1977 hat Hans-Jürgen Syberberg in seinem Film „Hitler – Ein Film aus Deutschland“ seinem Ekel vor der Nachkriegswelt des amerikanischen Befreierliberalismus drastischen Ausdruck verliehen. Sie trug für ihn die Fratze einer Pornopuppe mit klaffendem, kreisrundem „Mund“, der sich in ein schwarzes Loch öffnet, ein Nichts, in das die letzten Menschen ejakulieren dürfen.

In einer Szene kettete er die Puppe an eine KZ- oder Bombenkriegsleiche aus Kunststoff, und ließ die beiden Figuren in obszöner Vereinigung vor Projektionen von Speers „Germania“-Entwürfen baumeln, als infernalische Symbole eines „Endsiegs“ ganz anderer Art. Dazu ließ der Regisseur unter anderem folgenden Text einsprechen:

 

 

Wie sagte Thomas Mann am Jahreswechsel 37/38? „Gott helfe unserem verdüsterten und mißbrauchten Lande und lehre es, seinen Frieden zu machen mit sich und seiner Welt.“ Was würde er sagen, heute? Oder unsere Kinder, morgen? Sehend, was wir mit unserer Freiheit gemacht haben, und aus uns?