Dugins Direktive: "Das Zeitalter der Zivilisationsstaaten – Russland, China und Indien erheben sich als die drei Pole einer multipolaren Welt"
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Unsere Staaten sind nicht gleichwertig: Der eine hat Vorteile in der Demografie, der andere beim Wirtschaftswachstum, wieder ein anderer in Geopolitik, natürlichen Ressourcen, Rüstung oder Technologien. Aber keiner von ihnen ist vom anderen abhängig. Es sind drei unabhängige Pole, das ist Multipolarität. Jeder hat im Kern seine eigene Religion, Identität, Kultur und eine sehr lange Geschichte. Das hat enorme Bedeutung.
Russland hat endgültig erkannt, dass es nicht Teil des Westens, sondern das Zentrum einer eigenständigen russischen Welt ist. Dasselbe geschieht mit Indien und China. Im Zentrum der chinesischen Identität steht die konfuzianische Idee des chinesischen Reiches. Maoismus und der Liberalismus Deng Xiaopings sind Wege, die Gesellschaft zu modernisieren, um sie gegen den Westen zu schützen. Der Kern bleibt unverändert – China verteidigt seine Prinzipien und seine Metaphysik.
Ebenso erkennt Indien mit dem Machtantritt der konservativen "Bharatiya Janata Party" unter Narendra Modi immer stärker sein Gegensatz zum Westen als vedische Zivilisation. Modi hat einen Kurs zur Dekolonisierung des indischen Bewusstseins eingeschlagen und verfolgt diesen konsequent weiter, im Bewusstsein, dass das westliche System für die indische Gesellschaft, die auf anderen Prinzipien aufgebaut ist, nicht passt.
Die russische Zivilisation reicht tief zurück in die indoeuropäische Gesellschaft der Sarmaten- und Skythenzeit, als die Slawen entstanden. Doch zur eigentlichen Zivilisation wurden wir, als wir das Christentum und den Byzantinismus mit seinem griechisch-römischen Erbe annahmen. Wir sind aber auche die Erben der Kultur des indoeuropäischen Codes.
Nach dem Großen Schisma der Kirchen im 11. Jahrhundert trennten sich unsere Wege vom Westen. Wir trugen den Code weiter, während der Westen sich davon entfernte. In der Moderne baute er eine Zivilisation auf antichristlichen und antirömischen Prinzipien auf und brach mit sich selbst. Wir aber blieben trotz der Rückschritte im 18. und 20. Jahrhundert Träger des orthodoxen Glaubens, zu dem uns der Heilige Fürst Wladimir taufte.
Nach dem Fall von Konstantinopel wurden wir die einzigen Erben des Codes. Uns wurde die Verantwortung zuteil, die Bastion der Orthodoxie zu sein. Nicht zufällig nennen wir uns das Dritte Rom. Wir sind Erben nicht nur eines Jahrtausends, sondern einer noch viel tieferen Geschichte, einschließlich Persien und Babylon, wie Konstantin Malofejew in seinem Buch "Imperium" schreibt. Seit 500 Jahren tragen wir Russen die Krone des Imperiums und bewahren die Zivilisation, von der sich der Westen abgewandt hat.
Nicht wir sind Teil des Westens, sondern er ist eine degenerierte Version von uns. Sie haben sich von der Zivilisation abgespalten, wir sind ihr treu geblieben. Sie sind die verlorenen Söhne, die ins Verderben gegangen sind. Wir tragen eine uralte Kultur, die Chinesen die ihre, die Inder die ihre.
Nach nicht immer günstigen Zeiten begegnen wir uns, die drei wiedererstarkten Zivilisationsstaaten, erneut und erkennen unsere eigene Tiefe. Vor uns steht ein gemeinsamer Feind: der Westen. Trump hätte ein weiterer souveräner Pol werden können, hätte er die Hegemonie der Globalisten überwunden, wie er es vorhatte. Doch es gelingt ihm nicht.
Die drei Pole der multipolaren Welt existieren bereits. Aber der Klub der multipolaren Welt ist offen. In den BRICS, einem breiteren Format als der SOZ, ist auch Platz für die islamische, afrikanische und lateinamerikanische Welt. Je mehr der Westen uns angreift, desto näher rücken wir zusammen. Selbst Trump trägt dazu bei und macht diesen Prozess unumkehrbar – unter seinem Druck hat sich uns Indien angeschlossen.
Darin liegt auch etwas Eschatologisches. Wir nehmen uns und unser Schicksal heute schärfer wahr als jemals zuvor in den letzten 300 Jahren. Dasselbe gilt für die Chinesen und Inder. Indien, das einst eine Kolonie war, findet nun wirklich zu sich selbst, ebenso wie China zu seinem konfuzianischen Kern zurückkehrt. Das, was am Anfang war, wird am Ende offenbar.
Wir treten in das Zeitalter der Zivilisationsstaaten ein, während der Westen beim Versuch, seine Hegemonie zu bewahren, scheitert. Es ist inzwischen allen klar – seine Hegemonie ist vorbei. Das ist die Agonie.